Dieser Blog ist umgezogen. Die alten, bisherigen Beiträge bleiben da, wo sie sind: auf der alten Webseite https://medizynicus.wordpress.com.
Neue Beiträge gibt’s von nun an hier.
Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik
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Oder habt ihr schon?
Oder glaubt ihr, es ändert sich ja eh nix, weil einer so doof wie der Andere, und überhaupt, wenn Wahlen tatsächlich etwas bewirken täten, dann wären sie längst verboten und Wahlkämpfe, die an Waschmittelwerbung erinnern, mit Parolen so flach wie das ostfriesische Wattenmeer bei Ebbe, austauschbar und nichtssagend und überhaupt, die Welt geht eh unter, kann man eh nix mehr tun, also haben wir lieber noch ein bisschen Spaß, was kümmern uns unsere Kinder, Enkel und Urenkel, diese ungezogene Brut…
So, jetzt aber mal im Ernst: wir haben die Wahl. Wir haben das Glück, dass in unserem Land weder Wahlzettel noch Oppositionskandidaten auf unerklärliche Weise verschwinden. Anderswo in der Welt beneidet kämpfen Menschen dafür und riskieren ihr Leben, und man beneidet uns um unser unverschämtes Privileg. Und es gab auch bei uns Zeiten, in denen das alles nicht selbstverständlich war.
Also, Leute, geht wählen!
Fröhlich schlittern wir weiter von Katastrophe zu Katastrophe. Die erste Hälfte dieses Jahres haben wir im Lockdown verbracht, Viele waren krank oder wurden in Quarantäne gesteckt, manch einer hat miterlebt, dass nahe Angehörige und Freunde schwer erkrankt oder gar gestorben sind. Und dann spielte auch noch das Wetter verrückt: Schnee bis in den April, gefolgt von wochenlangem Regen und Matsch und anstelle des ausgefallenen Frühlings dann ein Sommermonsun mit noch mehr Regen und dunkelschwarzen Gewitterwolken. Ja, diese allgegenwärtigen depressiv-düsteren Wolkenberge waren es, die für mich zum Symbol für dieses Jahr geworden sind.
Mehrere Orte wurden durch Sturzregenfluten zerstört und ganze Landstriche verwüstet. Das hat es in den letzten Jahrzehnten hier in Deutschland nicht gegeben – nicht in diesem Ausmaß!
Dabei dabei sind wir im Vergleich zu den Menschen in Südeuropa und dem Westen der USA noch richtig glimpflich davon gekommen: monatelange Gluthitze über 40 Grad, beispiellose Waldbrände und Wirbelstürme blieben uns zum Glück noch erspart.
Nur unverbesserliche Dumpfbacken zweifeln jetzt noch daran, dass der menschengemachte Klimawandel längst in vollem Gange ist.
Naja, bislang ist ja noch alles ganz gut gegangen, kann man sagen, und wenn’s wirklich irgendwann mal ungemütlich werden sollte, dann schauen wir halt weiter, wird sich schon eine Lösung finden, müssen wir halt neue tolle Maschinen erfinden und die Mauern nur hoch genug bauen, damit niemand mehr rüberkommen kann. Pech halt, wenn man auf der falschen Seite der Mauer geboren wurde, in einer Gegend, die dummerweise durch Dürre und Hitze unbewohnbar geworden ist, so ist das nun mal, wir können nicht alle retten, Verlierer hat’s immer schon gegeben, schön, wenn man selbst nicht dazu gehört.
Der Klimawandel ist ja kein medizinisches Problem. Oder doch? Sagen wir so: der Klimawandel wird für ein paar Milliarden Menschen einen Haufen gesundheitlicher Probleme mit sich bringen, wenn man das mal so kurz und salopp zusammenfassen darf und was das im Detail bedeutet… ja, das weiß Keiner so genau.
Einige der bekanntesten medizinischen Fachzeitschriften haben einen gemeinsamen Leitartikel veröffentlicht, einer der wohl aktuell berühmtesten deutschen Ärzte gründet seine eigene Klima-Stiftung, und, und und…
Genügend laute Stimmen gibt es jedenfalls. Keiner kann behaupten, nichts zu wissen.
Wollen wir also die Welt retten? Wollen wir das wirklich?
Noch haben wir vielleicht die Chance.
Ja, ich war dabei: beim diesjährigen Med im Kornfeld – Event von DocCheck.
Und, wie war’s?
Ja, ganz toll natürlich! Super, genial, endgeil, cool, nice, knorke, und famos.
Hey, wie bitte, knorke? Famos?
Ja, das hat man früher mal gesagt,
Famos? Kennt das noch jemand? Das hat man früher mal gesagt, als die Telefone noch Wählscheiben hatten und das Fernsehen nur drei Programme und als es noch Schreibmaschinen gab und die Urmenschen mit Fellen bekleidet durchs Neandertal robbten. Ja, ungefähr so kam ich mir vor angesichts der geballten Kompetenz von YouTubern, Instagrammern, und TikTokern, die sich dort auf einer einsamen Wiese irgendwo im Bergischen Land an einem verregneten Samstagnachmittag ein Stelldichein gaben.
Aber jetzt mal von vorn:
Es ist ein paar Wochen her, der Lockdown war gerade vorbei und Sachen begannen, wieder stattzufinden, da trudelte eine Einladung in mein Email-Postfach. Lang, lang ist‘s her, dass ich hier auf DocCheck aktiv mitgebloggt habe.
Um genau zu sein, sind es drei oder vier Jahre: eine Ewigkeit im digitalen Universum.
Viel ist passiert seither. Das Leben ist weitergegangen, auch ohne Blog, und die virtuelle Welt hat sich verändert. Facebook, Instagramm, Youtube, Snapchat und TikTok sind gekommen und an mir vorbeigezogen wie eine Herde Trampeltiere, haben eine Menge Staub aufgewirbelt, der hat sich wieder gelegt und ich habe mich kopfschüttelnd umgedreht und bin meines Weges gegangen.
Auch DocCheck hat sich verändert. Ein paar nette Menschen sind geblieben, gelegentlich traf man sich, nicht nur auf WhatsApp, sondern hin und wieder sogar im richtigen Leben.
Ja, und dann kam also diese Einladung: ein „Treffen im Kornfeld“ wurde versprochen, ganz exklusiv, schräg und irgendwie spannend. Das Datum passt, also zögere ich nicht lange und sage zu.
Los geht‘s! Die Deutsche Bahn bringt mich pünktlich und ohne zu streiken nach Hennef an der Sieg, und von dort werde ich von einer rheinischen Frohnatur auf das vielleicht 10 KM entfernte Anwesen kutschiert, welches sich dann als ein recht schicker Landsitz entpuppt, mit modernen und modern restaurierten Gebäuden umgeben von Wiesen – das angebliche Kornfeld war wohl eher ein Marketing-Gag.
Auf der Wiese gibt‘s Strohballen, Zelte, Unterstände und jede Menge High-Tech-Konferenztechnik. Dazu leckeres Catering, Corona-Gerecht in Form von braunen Papiertüten und adrett geschnürten Lunchpaketen serviert. Der Himmel ist heiter bis wolkig, eher mehr wolkig und hin und wieder nieselt es auch ein bisschen. Aber das tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Wir sind ja nicht aus Zucker!
„Deutschlands beste Healthcare-Influencer“ sind angekündigt, und das Programm hält, was es versprach. Die Vorträge und Workshops waren toll. Die Referenten sind hochkarätig. Aber was das Ganze so einzigartig macht, ist diese locker-ungezwungene Atmosphäre, fast wie eine Gartenparty und alles andere als ein dröges Seminar. Auch der allerberühmteste Promi hat sich ein Stück Klebeband mit seinem Vornamen aufs Hemd geklebt und stellt sich am Kaffeestand brav in die Warteschlange. So gibt‘s abseits der offiziellen Vorträge viel Gelegenheit zum Networken oder auch einfach nur zum entspannten Plausch.
Und zum Staunen: die mediale Welt hat sich verändert, sie ist bunter geworden, lauter, schriller, schneller und schnellebig. Gibt es denn noch Blogger, die einfach nur bloggen? Ja, die gibt‘s, aber die kennt niemand mehr. „Cross-Media“ ist das Zauberwort, um wahrgenommen zu werden, reicht es nicht aus, einfach nur Texte zu produzieren, um Social Media kommt man nicht rum. Und wenn man nun mal nicht scharf darauf ist, sein Gesicht in die Kamera zu halten oder sich gar hinter einem Pseudonym verstecken will? Für solche Bedenken gibt‘s hat man nur noch ein müdes Lächeln übrig.
Und doch: nur wer schreibt, der bleibt, sagt mir eine Expertin, die es wirklich wissen muss, Bilder und Videos sind Schall und Rauch, die braucht man, um bekannt zu werden, aber sie sind auch schnell wieder vergessen. Texte bleiben. Auch im Netz. Das tröstet mich.
Zwischendurch werden Bäume gepflanzt, zum Schluss geht‘s noch mal ganz gewichtig um nicht weniger als die Rettung der Welt und dann gibt‘s Abendessen auf Bierzeltbänken – unter freiem Himmel, der sich im weiteren Verlauf bedenklich verdüstert.
Ein paar hartgesottene wollen tatsächlich über Nacht bleiben und auf der Wiese zelten. Respekt, Respekt! Für Weicheier wie mich erscheint genau im richtigen Moment dann wieder die rheinische Frohnatur mit seinem Kleinbus und kutschiert mich zurück in die Stadt, und bevor es richtig heftig zu regnen anfängt habe ich das Hotelzimmer erreicht.
Ein spannender Tag war‘s.
Über das, was ich heute erlebt, gehört und gesehen habe, werde ich noch lange nachdenken.
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